Mischwesen aus Rind und Mensch - keine Science Fiction, sondern Realität
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CHIMÄREN / Mischwesen aus Rind und Mensch – die Briten brechen ein Tabu
Die Bioforschung lehrt: Wer die Tür einen Spaltbreit öffnet, bekommt sie nicht mehr zu. Er wird sie immer weiter öffnen.
Im Archäologischen Nationalmuseum von Florenz ist eines der berühmtesten Werke etruskischer Kunst zu bewundern: die Chimäre von Arezzo. Die stattliche Bronzestatue stammt aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert und kämpft ihren Todeskampf: Während der Löwenkopf aufbrüllt und der Schlangenschwanz zubeißt, neigt sich der Ziegenkopf bereits sterbend zur Seite. Ursprünglich soll die Chimäre Teil einer Gruppe gewesen sein: Ihr gegenüber standen die Angreifer Bellerophon und Pegasus – jene beiden Helden, die das feuerspeiende Misch- ungeheuer in Homers Ilias besiegen.
Wenn britische Wissenschaftler in Kürze Lebewesen aus Mensch und Tier züchten, um nicht auf menschliche weibliche Eizellen angewiesen zu sein, wird das Ergebnis nicht derart ins Auge springen wie die fast einen Meter hohe Arezzo-Figur. Der in der Petrischale gezeugte Embryo aus Rind und Mensch soll – so hat es die Londoner Aufsichtsbehörde für Fortpflanzungsmedizin und Embryologie genehmigt – nach 14 Tagen zerstört werden. Zu diesem Zeitpunkt ist er kleiner als einen Millimeter. Auch verweisen die Wissenschaftler darauf, dass er nur zu 0,1 Prozent animalisch ist, zu 99,9 Prozent aber der Gattung Homo sapiens zuzurechnen ist.
Die Pläne sind dennoch nicht weniger furchteinflößend als das griechische Fabelwesen. Bislang gehörte es zum weithin geteilten naturwissenschaftlichen Konsens, dass durch Chimären Krankheiten über Artgrenzen hinweg übertragen werden können und sie deshalb abzulehnen sind. Ethisch ist die Kreierung von Mensch-Tier-Wesen ohnehin inakzeptabel: „Alles von Menschen gezeugte“, lehrt Immanuel Kant, muss von Anfang an als Person betrachtet werden, der Mensch darf „niemals als Mittel zum Zweck missbraucht werden“. Mit ihren Experimenten verabschieden sich die Forscher einen weiteren Schritt von dieser einst unantastbaren Grundlage der Moralität. Unter dem Vorzeichen medizinischer Heilsversprechen wird die Instrumentalisierung des Menschen vorangetrieben: erst die Gesundheit, dann die Moral.
Die Kritik, die Londons Ankündigung in vielen europäischen Ländern hervorgerufen hat, zeigt, dass Großbritannien bislang isoliert ist. EU-Forschungsgelder werden nicht zur Verfügung gestellt. Doch wer die Geschichte der Biopolitik betrachtet, stellt fest, dass die Briten immer Vorreiter in der Embryonenforschung waren. Als man sich auf dem Kontinent noch über das Für und Wider der Stammzellforschung die Köpfe heißredete, legalisierten sie bereits das therapeutische Klonen. Jetzt schreiten sie erneut voran – Nachahmung so gut wie sicher.
Nicht zuletzt Deutschland ist ein Beispiel dafür: Wer die Tür in der Bioforschung einen Spaltbreit öffnet, bekommt sie nicht mehr zu, sondern macht sie immer weiter auf. Bei der Einführung der Stammzellimport-Gesetzgebung im Jahr 2001 warnten Kritiker, so werde der Lebensschutz ausgehöhlt, eine weitere Liberalisierung sei nur eine Frage der Zeit. In Kürze dürfte der Bundestag ihnen recht geben. In den Fraktionen zeichnet sich eine Mehrheit ab, den geltenden Stichtag zu verschieben und so die Substanz der bisherigen Embryonenschutzgesetzgebung zu zerstören. Wer Wissenschaftlern einmal neue embryonale Stammzellen für Experimente zugesteht, wird dies immer wieder tun, wenn die Forschung Frischware verlangt. So wird von Deutschland eben jener Anreiz zur Tötung von Embryonen ausgehen, den die ursprüngliche Gesetzeskonstruktion verhindern wollte.
Da ist es ein bemerkenswertes Zeichen, wenn Bundesforschungsministerin Annette Schavan in der Woche der britischen Chimären-Ankündigung ein Programm der Bundesregierung auf den Weg bringt, um alternative, ethisch unproblematische Verfahren zur Gewinnung pluripotenter Stammzellen mit fünf Millionen Euro zu unterstützen. Schavan gibt damit jenen Wissenschaftlern der Deutschen Forschungsgemeinschaft Kontra, die jüngst noch erklärt hatten, die Ergebnisse der adulten Forschung hätten sich als wenig erfolgversprechend herausgestellt.
Damit ein solcher deutscher Weg den Ansätzen in England ernsthaft entgegengesetzt werden könnte, bräuchte es mehr Unterstützer. Auch die Forschungsministerin ist nicht konsequent genug, wenn sie selbst einer Stichtagsverschiebung zuneigt. Die Warnung, die Bertolt Brecht im „Leben des Galilei“ allem Forscherdrang ins Stammbuch schrieb, ist aktueller denn je:
„Ihr mögt alles entdecken, was es zu entdecken gibt, und euer Fortschritt wird doch nur ein Fortschreiten von der Menschheit weg sein. Die Kluft zwischen euch und ihr kann eines Tages so groß werden, dass euer Jubelschrei von einem universalen Entsetzensschrei beantwortet werden könnte.“
© Matthias Gierth, Rheinischer Merkur Nr. 37, 13.09.2007
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