Haider ist hin
Jörg Haiders Tod in der Rechtskurve
Jörg Haider, der rechte Populist, ein Hetzer mit Charme aber auch. Der Österreicher hat wie kaum ein Politiker ganz Europa in den vergangenen Jahren provoziert – und überfordert.
Von Markus Huber, Wien, 12.10.2008 0:00 Uhr
Die Bundesstraße B 71, die von Klagenfurt in Richtung Slowenien führt, war am Samstag ab den frühen Morgenstunden gesperrt. Kurz vor der Siedlung Lambichl hatte die Polizei Bänder über den Asphalt gespannt. Nur Anwohner durften passieren und einige Kamerateams.
Und was die dort filmten und fotografierten, ging um die Welt. Ein Ortsschild, das aus der Verankerung gerissen ist und auf der Straße liegt. Eine verwüstete Thujenhecke. Ein Betonsockel. Und mitten auf der Straße steht ein schwarzer VW-Phaeton. Die Front ist eingedrückt, die Windschutzscheibe eingeknickt, die Fahrerseite komplett aufgerissen.
In diesem Wagen und an dieser Stelle kam um 1 Uhr 15 in der Nacht zu Samstag der umstrittenste Politiker der österreichischen Nachkriegsgeschichte zu Tode: Jörg Haider.
Haider hatte Freitagabend noch an einer Veranstaltung zum Kärntner Landesfeiertag teilgenommen. Kurz nach Mitternacht verabschiedete er sich von den Parteifreunden, wollte mit dem Dienstwagen zu seinem Anwesen im Bärental fahren. Seine Familie wartete dort auf ihn, für dieses Wochenende war eine große Feier angesetzt, Haiders Mutter wird 90 Jahre alt.
Am Klagenfurter Stadtrand, eben in Lambichl, hatte Haider, der ohne Chauffeur unterwegs war, noch ein anderes Auto überholt. Im Ort selbst kam sein Wagen dann von der Straße ab. Der Phaeton touchierte zuerst das Ortsschild und schlitterte dann durch die Hecke. Die betonierte Fassung der dahinter liegenden Beete wurde Haider offenbar zum Verhängnis: Der Wagen krachte in den Sockel, überschlug sich mehrfach, kam erst 35 Meter weiter zum Stehen.
Für Haider kam jede Hilfe zu spät. Die Notärztin, die als erste am Unfallort war, habe ihn mit schwersten Kopfverletzungen angeschnallt im Wagen vorgefunden, sagte der Arzt Thomas Koperna. Die Fahrertür sei abgerissen gewesen. „Die Halswirbelsäule ist wahrscheinlich gebrochen gewesen, der linke Oberarm nahezu abgetrennt“, sagte Koperna. Haider wurde 58 Jahre alt.
An den Reaktionen, die sein Tod auslöste, kann man ablesen, welche Rolle der Mann, der gerade erst vor zwei Wochen bei den Parlamentswahlen mit seiner Partei BZÖ triumphal wiederauferstanden war, im Land gespielt hat. Im Österreichischen Staatsfernsehen liefen Sondersendungen an, sogar der Jugend-Radiosender FM 4 brachte eine einstündige In-Memoriam-Sendung. Vom Bundespräsidenten abwärts kondolierten alle Spitzenrepräsentanten des Landes, auch die Chefs der politischen Parteien würdigten Haider als „Ausnahmepolitiker“ (SPÖ-Chef Werner Faymann) und als „prägendste Politikerpersönlichkeit der Zweiten Republik“ (FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache).
Natürlich ist das alles recht pathetisch, aber eins stimmt wohl wirklich: Der in Oberösterreich geborene Haider hat das Land geprägt wie kaum ein anderer. 30 Jahre war er in der Politik aktiv, und vor allem in den 14 Jahren von 1986, als er die Freiheitliche Partei Österreichs übernahm, bis 2000, als die FPÖ in die Regierung eintrat, war er das Maß der Dinge im österreichischen Politikbetrieb. Er hat in diesen Jahren die FPÖ von einer Fünfprozentpartei zur zweitstärksten Kraft im Land gemacht, die bei den Wahlen im Herbst 1999 auf 28,3 Prozent kam. Trotzdem war Haider zunächst einmal ein Populist der üblen Sorte.
Er zog gegen Ausländer und Juden los, bewies immer wieder ein dubioses Geschichtsverständnis. Mal lobte er, in seiner ersten Zeit als Kärntner Landeshauptmann die „Beschäftigungspolitik der Nationalsozialisten“, mal verharmloste er die Konzentrationslager als „Straflager“. Er bezeichnete die „österreichische Nation“ als „ideologische Missgeburt“ und scheute auch nicht vor dem ganz rechten Rand zurück, etwa bei Treffen der SS-Kameradschaft 4 im Kärntner Krumpendorf.
In der Phase seines Aufstiegs galt Haider als das Böse der österreichischen Seele, so kam er auch in die internationalen Medien. Denn der Böse, laut internationaler Analyse ein Nazi, war eben auch der Mann, der fast 30 Prozent der Österreicher hinter sich versammeln konnte. Braungebrannt und schneidig war Haider auf den Titelblättern der „New York Times“, von „Newsweek“ und dem „Time“-Magazin. Er war es auch, der in Erich Böhmes „Talk in Berlin“ auf dem heißen Stuhl saß und die Kritik der versammelten deutschen Intelligenz an sich abprallen ließ. Gerade bei diesem Fernsehauftritt, im Februar 2000, zeigte sich Haider in Deutschland als ganz großes rhetorisches Talent: Weder Böhme noch der damalige OSZE-Medienbeauftragte Freimut Duve und schon gar nicht der jüdische Publizist Ralph Giordano – die alle versucht hatten, Haider vorzuführen – schienen dem Österreicher gewachsen zu sein. Stattdessen sagte Giordano nach der Sendung, Haider sei „einer der sympathischsten Menschen, die mir je begegnet sind“. Das Publikum, im Saal wie im ganzen Land, war verblüfft.
Jörg Haider war nicht zu fassen. Er war eine hochkomplexe und eigenartige Mischung. Er konnte den Nazi genauso wie den Staatstheoretiker geben, er war der plumpe Ausländerhasser und dann wieder der prononcierteste Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei, den Österreich aufzubieten hatte. Er konnte, und das überraschte jeden, der ihn persönlich kennenlernte, ein einfühlsamer, beinahe sanfter Zuhörer sein – und dann im Bierzelt auf die Bühne gehen und Sprüche rauslassen, die jeden CSU-Politiker am politischen Aschermittwoch erblassen lassen würden.
Vor allem in seiner späten Phase, nachdem die FPÖ in die Regierung eingetreten war und dann aber von Wahl zu Wahl stärker absackte, waren diese Stimmungsschwankungen Haiders erstaunlich. Immer wieder verkroch er sich im Privaten. Und kehrte doch mit vollem Elan auf die politische Bühne zurück und träumte davon, mit der Gründung des Bündnis Zukunft Österreich noch einmal wie in den 90ern zu polarisieren. Aber dann wollte er wieder aus der Politik aussteigen und einen Lehrstuhl an einer Universität einnehmen. Oder sogar eine Wein- und Buchhandlung in Klagenfurt eröffnen.
Während des gerade abgelaufenen Wahlkampfs schlüpfte der BZÖ-Spitzenkandidat Haider in eine an ihm noch nicht erlebte Rolle: die des elder statesman, der keine Bierzelte mehr besucht, sondern im Dreiteiler im Fernsehstudio sitzt und von der staatspolitischen Verantwortung der nachdenklichen Kräfte spricht. Das Wirtschaftsprogramm, das er dabei propagierte, hatte sozialdemokratische Züge. Er klagte über die hohen Kosten für Berufspendler oder die ausgedünnte Infrastruktur in den Dörfern. Selbst langjährige politische Beobachter konnten sich auf diese Inszenierung nun keinen Reim mehr machen. Sie waren endgültig von ihm überfordert, so wie es einigen von ihnen schon seit Jahren nicht gelungen war, Haider mit seinen eigenen Waffen zu schlagen und ihn als manisch-depressiv oder homosexuell zu outen. Sie stellten lediglich erneut fest, dass Haider sprunghaft sei. Und er war auch wieder erfolgreich: Elf Prozent erreichte das BZÖ bei der Wahl am 28. September, auch die Freiheitlichen gewannen dazu. Rechtsruck in Österreich!, klagten die europäischen Medien, und Haider reckte, strahlend, sportlich, die Fäuste in die Luft.
Jörg Haider hatte ein Gespür für die Stimmung der Bevölkerungsmehrheit. Dass die dann dazu führte, einen wie Haider immer größer werden zu lassen, machte am Ende das ganze Land nicht gerade sympathisch.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 12.10.2008)
Quelle: http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Die-Dritte-Seite-Joerg-Haider;art705,2634202
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